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Umhüllung


Objekte von Barbara Bernsteiner

Barbara Bernsteiner arbeitet mit Fundobjekten. Die passive Entfremdung des ursprünglichen Gegenstands erreicht sie mittels der Umhüllung und Verhüllung der Objekte mit grauer Wolle. Der Gegenstand verliert infolge der Umhäkelung seine charakteristische, zumeist bunte Oberflächenstruktur und wird zur reinen Form.
Die Bandbreite der dafür herangezogenen Objekte erstreckt sich von Stäben, Schriftrollen, Schwemmhölzern, die Bernsteiner als reduzierte Zeichen installiert, bis hin zu Gegenständen, die mit dem Thema Heimat in all seiner Ambivalenz konnotiert sind. Das Hirschgeweih, der Gartenzwerg oder die Blumentöpfe werden je nach Standpunkt als selbstverständlicher Dekor gelesen oder als Symbol für eine konservativ-provinzielle Lebenshaltung, die Barbara Bernsteiner auf ironisch-humorvolle Weise thematisiert. Motive wie die Figur des Hermes oder die aufgeschnittenen Kokons durchbrechen jedoch eine allzu geradlinige Lesbarkeit. Ihre Arbeiten entstehen selten als skulpturale Einzelstücke, sondern werden von der Künstlerin als Installationen in eine komponierte Beziehung zueinander gesetzt. Der Schwerpunkt liegt dabei neben dem Gegenstand daher vor allem auf einer installativen, formalen Anordnung. In einer für die zeitgenössische skulpturale Sprache gängigen Kombination von realen Gegenständen und rein abstrakten Objekten macht Bernsteiner komplexe Kontexte des Alltagslebens und der Gesellschaft sichtbar.


Silvie Aigner - "Emanzipation und Konfrontation" K08 - 2008

Biografie und Ausstellungsliste (PDF-DokumentPDF-Dokument, 427,92 kB)
2009, Silvie Aigner, Die Brücke (PDF-DokumentPDF-Dokument, 456,82 kB)
2009 Silvie Aigner, Verwaltungszentrum Kärnten (PDF-DokumentPDF-Dokument, 425,98 kB)
2008 Silvie Aigner, K08, Museum für Moderne Kunst, Kärnten (PDF-DokumentPDF-Dokument, 425,26 kB)
2007, Maja Skerbot, thread (PDF-DokumentPDF-Dokument, 446,47 kB)



Monomere - Polymere
Barbara Bernsteiner . Objektkünstlerin

Plastik als Material
Erste Inspirationen erfuhr Barbara Bernsteiner im Jahr 2004 im Kontext einer Installation, in der sie sich mit Schwemmhölzern aus der Silvrettaregion auseinandersetzte.

In einer Fotoserie hielt sie das türkisgefärbte, mit Gletschermilch versetzte Wasser fest, auf dessen Oberfläche Schwemmhölzer ruhten, malerisch von der Natur inszeniert, räumlich ausgewogen, kontrapunktisch und doch zufällig durchsetzt von roten Plastikteilchen.

Bernsteiners Fotos zeigen formal auskomponierte, abstrakte Bilder, die sie selbst als Initialzündung für ihre zweite große künstlerische Phase, die 2012 begann, bezeichnet:
die aktuell andauernde Arbeit mit dem Material Plastik, aus dem sie ihre Kunstwerke erschafft: ebenso mehrschichtige wie monochrome oder farbintensiv-pointillistisch angehauchte Wandbilder, ihre funkelnden Sammlungen, festgehalten in den sogenannten Anzuchtschalen und die Objekte, die die sie umgebende Welt reflektieren, oder die leichtfüßig flächenüberziehenden Anpflanzwände. Bernsteiners intensiver Dialog und die für sie typische, kompromisslose Handhabe ihrer Themen und ihres Materials, schlägt sich heute in unterschiedlichen Serien und Werkzyklen nieder.

Barbara Bernsteiner versteht sich nicht als Umweltaktivistin. Doch natürlich hat sie den ebenso tiefgreifenden wie nicht zu leugnenden Negativeffekt, den die über 200 verschiedenen Plastiksorten, die unsere Welt nachhaltig belasten, klar vor Augen. In die trendige Kategorie einer handwerklich orientierten, bunten Betroffenheitskunst, die für ‚Kunst mit Müll‘ oder ‚Kunst gegen Müll‘ plädiert, lässt sie sich jedenfalls nicht einordnen. Ihr Zugang zum Plastik bleibt ein offen ausgesprochen zwiespältiger.

Mit ihrem jahrzehntelang praktizierten, konsequenten Ansatz der ernsthaften Verwendung von Fundstücken, die sie aus ihren Kontexten löst, mit anderen Materialien konfrontiert und auf diese Art eine verfremdende Perspektive auf einen neu geschaffenen Kosmos herstellt, steht Barbara Bernsteiner in einer ebenso aktuellen wie globalen Tradition zeitgenössischer Künstler*innen, die sich gekonnt wie elegant zwischen den unterschiedlichen Formaten – Malerei, Objektkunst und Installation – bewegen und sich auf keine Klassifizierung festlegen lassen wollen.

„Die Welt ist nun einmal komplex, unvorhersehbar und vielfältig, Die Natur, auch die vom Menschen geschaffene anthropogene, bildet einen Kreislauf, mit dem wir uns immer neu konfrontieren müssen,“ so die Künstlerin. „Vielleicht gelingen den Menschen zukünftig ungeahnte, praktikable Konzepte, die Plastik nicht als Müll definieren, sondern es in noch nicht durchdachte und noch zu erfindende gedankliche Kontexte integrieren.“

Ihr Zugang zu dem weiten Sammelbegriff, unter den wir Plastik fassen, ist von einem künstlerischen Interesse geprägt, dessen Ursprung ebenso in der Malerei wie in der Installationskunst zu finden ist. Bernsteiner lehnt Worte wie „Müll“ oder „Plastikmüll“ ab. Sie agiert stattdessen mit Begriffen wie Material, Quelle, Impuls, Ressource und aus diesem fundierten Denkansatz entwickeln sich logische Algorithmen, die ihre Kunst aus einer bereits bestehenden Grundsubstanz räumlich, formal und ästhetisch entstehen lassen.

„Ich sehe Plastik rein als Material, als eine Materie, die mich im Alltag umgibt und die für meine Arbeit in großer Menge zugänglich ist. Plastik ist ein genialer Werkstoff, spannend in seiner Betrachtung, inspirierend in der formal ästhetischen Behandlung. Ich kann alles damit machen: es zerschneiden, einritzen, bemalen, es auf fremdem Untergrund wie eine Leinwand annähen, es in Kontrast zu herkömmlichen, malerischen Techniken oder solchen der Textilkunst setzen.“

Entemotionalisiert betrachtet hat Plastik Eigenschaften wie das positiv besetzte Glas: glitzernd, transparent, funkelnd, spiegelnd, reflektierend usw. Aus diesen Charakteristika ergeben sich unzählige Fragestellungen und Möglichkeiten der künstlerischen Behandlung.

In ihrer bis in kleinteiligste Fragmente, nie dekorativen Exploration, ist Barbara Bernsteiner stets auf der Suche nach spannenden, formalen Ansätzen, die thematisch folgerichtig weitergedacht und in der Kontextualisierung ihrer künstlerischen Umsetzung adäquat realisiert werden wollen. Ihre Auseinandersetzung ist durchzogen vom gestalterischen Interesse einer Künstlerin, die Experimente und Risiken eingeht und auch philosophische Denkräume zu eröffnen sucht.

Wer ihre vorherigen, großangelegten Serien, die umhäkelten Wollobjekte und die daraus entstandenen Installationen kennt, weiß, dass diese Künstlerin vorurteilslos eine Symbiose mit ihrem Material eingeht, die eine eigene Kraft entwickelt und zu stringenten, verblüffend humorvollen, aber ebenso auch sozialkritischen, unter die Haut gehenden Werken führt.

In all ihren Arbeiten kann man die Installationskünstlerin spüren, die es gewohnt ist, ihre Kunst in direkter Auseinandersetzung mit dem zur Verfügung stehenden Raum entstehen zu lassen. Sie sucht die Wand, ihre sich in die Fläche erstreckende Größe, ebenso wie ihr Gegenteil, die Überwindung derselben. Sie drängt in den dreidimensionalen Raum und geht zurück zur Fläche, zu Wandobjekten, die sie in durchbrochenen Schichtungen gestaltet. Ihr Material sind die sogenannten PETstoffe (PET steht für: Poly Ethylen Terephthalat). Sie sind unzerbrechlich und sehr leicht, robust in ihrer Handhabung. Man kann sie mit Wasser reinigen, dadurch bleiben Strahlkraft und Farbigkeit erhalten, was ein wichtiges Argument für Barbara Bernsteiner ist. Das Ausgangsmaterial wird sorgfältig zerschnitten, in immer gleiche Teilchen, die mal aussehen wie Schuppen oder Blätter, mal an Blüten oder geritzte Fischflossen erinnern. In unterschiedlichen Phasen entstanden unterschiedliche Arbeiten. Elemente wurden zunächst aufgeklebt auf farbigen Untergründen, Leinwänden, die bemalt oder mit Wollschichtungen flächig behäkelt sind. Zunehmend ging Barbara Bernsteiner zu ihrem wegbegleitenden Markenzeichen zurück. Heute näht sie die Schuppen in einem diffizilen Verfahren direkt auf die Leinwände an. Der konzentrierte Fokus auf den Mikrokosmos ‚Nahtstelle‘ ist ebenso mühsam wie gerechtfertigt. Nur er lässt Tiefe und Reflektion, eine eigentümliche Sogwirkung und die Schönheit ihrer Bilder zu. Ob im Diptychon fluss – spiegelung 1+2 oder den von Monet inspirierten anthropogene buntrosenteiche, Barbara Bernsteiners Anliegen liegt in einer doppelbödigen, größtmöglichen Transparenz. Sie ist auf der Pirsch und sucht den Lichteinfall einzufangen, ihn in den zwar konstanten, sich jedoch stets lebendig verändernden Zustand der Brechung zu überführen, neue Prismen aufscheinen zu lassen. Faszination resultiert auch aus dem Prinzip der Wiederholung, der unbeirrbar, fast manisch arrangierten, immer gleich gearteten Teilchen, die als changierende Plastikpartikel sorgsam penibel konzipiert, einen fadenbeschichteten Untergrund überziehen. Das können dann auch leicht einmal 4.000 Schuppen sein, die auf ein Bild angenäht werden, um die gewünschte Tiefe und changierenden Farbverläufe zu erzeugen.

Zusammengenommen erzeugen Bernsteiners kompositorische Versatzstücke eine mitreißende Dynamik, die mit überzeugender Entschiedenheit eine Fließrichtung entstehen lassen, dessen vielfältige Ströme an der Oberfläche und in der Tiefe eine Menge zu-Entdeckendes in sich bergen.

Besonders ihre monochromen Wandarbeiten faszinieren durch ihre schwer ergründbare Farbigkeit, ihre lichtdurchflutete Transparenz und einnehmende Schönheit.

Aus dem Ganzen geht der Blick ins Detail, zurück zum Ganzen: die innere Bewegtheit der einzelnen Elemente hätte man, in ihrer poetischen Resonanz, dem Ausgangsmaterial Plastik nicht zugetraut.

Und so synthetisieren Barbara Bernsteiners Werke das Alltägliche mit der Kunstwelt, indem sie die eingefangenen Blicke in eine unbekannte Tiefe führen, die ebenso geheimnisvoll wie konkret bleibt.


Andrea K. Schlehwein 2.8. 2020